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Uterus

Firmen, die dem großen Ideal nachstreben, wenden sich vielmehr nach innen, sie vollziehen eine Abkehr vom Außen und bieten Schutz vor dem Außen: die Firma als Uterus.

Gerne ist in den Selbstdarstellungen von Web-Firmen die Rede von einer offenen, vielseitigen und interdisziplinären Firmenkultur. Seit einiger Zeit erfreut sich auch das Schlagwort von der »Work-Life-Balance« großer Beliebtheit. Man stellt die eigene Firma gerne als etwas unkonventionell und künstlerisch dar, als innovativ, als ein kleines bisschen schräg, mithin als wahnsinnig anregende Umgebung für ungewöhnliche Geister.

Die Wirklichkeit ist in sehr vielen Fällen nüchterner.

Die Wirklichkeit im Alltag ist, dass jeder, der aus der Reihe tanzt, sehr schnell als Problem gesehen und sanktioniert wird – es wird mit Schweigen und »Liebesentzug« reagiert und überhaupt nicht unterschieden zwischen Störern, die tatsächlich einfach nur destruktiv sind, und Kollegen, die Anregungen geben möchten oder Alternativen aufzeigen. Oder einfach etwas anders ticken und beispielsweise nicht vor Freude jauchzen, wenn die Geschäftsführung die gesamte Belegschaft einmal wieder wie eine Schulklasse auf Exkursion schickt oder zu sportlicher Betätigung, Motivationsseminaren und anderen Bespaßungen nötigt.

Schon breitgefächerte Interessen und Aktivitäten außerhalb des Firmenhorizonts können dazu führen, dass jemand als »problematisch« oder nicht engagiert genug gesehen wird (mithin das genaue Gegenteil der häufig zu lesenden Selbstdarstellungen).

Angestellte mit einer solchen Neigung zum Freigeist sind rasch isoliert. Freelancer, die nicht auf Linie sind, werden ohne viel Federlesens aussortiert und sind ganz schnell vergessen. Und bei Bewerbern, die auf diese Weise als problematisch erscheinen, ist es ja noch einfacher: die werden schon ganz früh aussortiert, unabhängig von ihren Qualifikationen.

Hinter all dem steckt zu einem guten Teil ein Idealbild avantgardistischer Unternehmenskultur, das von Google, Facebook und anderen verkörpert und natürlich aus Imagegründen durchaus ganz bewusst gepflegt wird.

Und das eigentlich ein sehr antimodernes Ideal ist: die Firma als Lebensmittelpunkt, als eine enge, verschworene Gemeinschaft – das Gegenteil der sehr vielfältigen, offenen und lockeren Netzwerke, in denen Firmen, Freelancer und Freiberufler noch vor 10, 12 Jahren interagierten.

Firmen, die dem großen Ideal nachstreben, wenden sich vielmehr nach innen, sie vollziehen eine Abkehr vom Außen und bieten Schutz vor dem Außen: die Firma als Uterus.

Das Gerede von offener, interdisziplinärer und vielseitiger Firmenkultur verkommt leider in solchen Umgebungen zum bloßen Lippenbekenntnis, zur Phrasendrescherei. Und die vielzitierte »Work-Life-Balance« heißt auch nichts anderes, als dass man seine Zeit frei einteilen darf, wenn man sie nur möglichst in der Firma verbringt, die zu diesem Behuf mit allerlei Wellness- und Fitnessangeboten aufwartet und sogar Schlummer- und Ruheräume bietet.

Die Firma ist wichtiger als der Einzelne. Die Firma kümmert sich. Wenn du mitspielst. Nestwärme, Corporate Thinking, Konformismusdruck, Corpsgeist – das ist, wie gesagt, zutiefst antimodern.

von Andreas Dölling