Standards
Ich zitiere Nils Pooker auch deshalb so ausführlich, weil er in einigen wichtigen Punkten andere Ansichten vertritt, als ich selbst es hier im ABC tue.
Der Begriff der Standards hat für uns Webleute eine ganz eigene Bedeutung. Ich wage zu behaupten, dass wir meistens einen etwas eingeengten Blick darauf haben. Ich selbst neige jedenfalls dazu, fürchte ich.
Der eingegrenzte Blick lässt uns Standards nur als die Untermenge sehen, die wir vor allem mit dem W3C verbinden. Es handelt sich dabei in der Tat auch nach wie vor um die Standards schlechthin für Webprofis. Auch heute, lange nach den um 2005 herum ausgetragenen Kämpfen um semantisches Markup, valide Stylesheets und den Verzicht auf proprietäre Elemente und Features.
Ans W3C denken sicherlich die meisten von uns als erstes, wenn sie den Begriff Standards hören. Die Entwickler vielleicht noch an die ECMA, das Unicode Consortium, diverse ISO-Normen und dergleichen.
Ein Standard ist dabei für sich kein Gesetz, keine Vorschrift. In der Wikipedia steht es sehr knapp und präzise: Ein Standard ist eine vergleichsweise einheitliche oder vereinheitlichte, weithin anerkannte und meist angewandte (oder zumindest angestrebte) Art und Weise, etwas herzustellen oder durchzuführen, die sich gegenüber anderen Arten und Weisen durchgesetzt hat.
Solange also die Einhaltung eines bestimmten Standards, zum Beispiel einer Norm, nicht gesetzlich oder durch Vorschriften einer Berufsinnung erzwungen wird, darf man sich grundsätzlich bei seiner Arbeit auch gegen ihre strikte Einhaltung entscheiden und in unserem Fall nicht-valides HTML-Markup veröffentlichen oder proprietäre CSS-Eigenschaften verwenden.
Auf einen ganz anderen Aspekt – und darauf möchte ich hinaus – hat mich der Designer, Künstler und Autor Nils Pooker gebracht, der schon 2015 in einem sehr hellsichtigen zweiteiligen Artikel Entwicklungen in Webdesign und Webentwicklung erkannt und vor allem aber über das Vordergründige hinaus ihre ganz grundsätzliche Bedeutung für unsere Branche herausgearbeitet hat:
Es wird deshalb eine immer weiter fortschreitende, modulare Standardisierung der Techniken und Abläufe geben. Sämtliche Innovationen und Experimente werden sich aber zukünftig innerhalb dieser Standards abspielen müssen, um konsens- und marktfähig zu bleiben.
Und:
Heute sind es nicht die Beschränkungen, Trends setzen standardisierte und damit konfektionierte Konzepte von Frameworks wie Bootstrap, Template-Editoren von Redaktionssystemen oder Fertiglösungen mit professionellen Vorlagen wie WordPress, das ist ein gravierender Unterschied. Analog zu Google als Synonym für alle möglichen Suchmaschinen werden Lösungen wie Bootstrap, Wordpress oder Angular.js zur Zeit wie aktuelle de-facto-Standards behandelt […].
Pooker schreibt das nicht mit nostalgischer Larmoyanz, sondern mit einem sachlich-nüchternen Blick auf die Gegebenheiten, Notwendigkeiten und Möglichkeiten:
Angesichts der zunehmenden Komplexität der Web-Branche wäre es allerdings fehl am Platze, über diese Entwicklung zu jammern. Jeder unnötig gewordene Arbeitsschritt ermöglicht die Konzentration auf die beschriebenen Soft-skills.
Und stellt schließlich die Frage, über die es sich im Zusammenhang mit dem Begriff von Standards für jeden von uns nachzudenken lohnt, indem wir nämlich das Blickfeld erweitern und uns zumindest einmal klarmachen, dass es nicht nur um eitle Grabenkämpfe zwischen Anhängern von Werkzeug A und denen von Werkzeug B geht:
Die letzte Frage bleibt, wer denn innerhalb des Marktes diese Standards vorgeben wird. Neben den Browserherstellern werden das wahrscheinlich vor allem Big Player wie Microsoft, Apple und vor allem Google sein, die ihre Marktmacht durch die Akkumulation von Kapital ausbauen können. Die Konzentration wird auch in anderen Bereichen der Webentwicklung weitergehen.
Ich zitiere Nils Pooker auch deshalb so ausführlich und empfehle die Lektüre seines hervorragenden und für unsere Branche ganz ungewöhnlichen Artikels, weil er in einigen wichtigen Punkten andere Ansichten vertritt, als ich selbst es hier im ABC tue.