g

Grunt

Dass der Entwickler, der noch immer Grunt oder Gulp benutzt, reihenweise erstklassige Websites baut – das gerät aus dem Fokus.

Der Berufsstand der Web-Profis – oder nein, ich korrigiere: der Berufsstand der Entwickler zeichnet sich im Durchschnitt nicht gerade durch einen übermäßig ausgeprägten Hang zu Bescheidenheit und Selbstzweifel aus.

Das hängt vielleicht ein bisschen damit zusammen, dass wir in den letzten zehn, fünfzehn Jahren in zunehmendem Maße das Gefühl genießen durften, die Welt mit unserer Arbeit tatsächlich zu prägen und zu steuern. Manchmal stimmt das ja sogar tatsächlich, in Fällen wie den großen Technologieschmieden in Übersee in geradezu unheimlichem Maße.

Hinzu kommt, dass Entwickler sich (noch) eines günstigen Arbeitsmarktes erfreuen und sich umworben fühlen können und dass sie ja auch tatsächlich sehr oft wirklich helle Köpfe sind. Verstärkt wird das Ganze schließlich noch durch das unbeschreibliche Gefühl von Glück und Erhebung, wenn man einen fiesen Bug behoben oder ein sehr vertracktes Problem gelöst hat und am Ende alles läuft wie am Schnürchen.

Wer so vom Glück gesegnet ist, verliert dann leider gerne mal den Maßstab und den Blick fürs Ganze. Man neigt dazu, sich selbst für zu wichtig zu nehmen, und glaubt immer fester daran, für alles die richtige und zwar die einzig richtige Antwort zu wissen. (Und ist davon überzeugt, dass es überhaupt für alles die eine richtige Antwort gibt.)

Illustration: Grunt (Buchstabe G im »ABC für Webmenschen«»)

Das Ende vom Lied sind dann die Grabenkämpfe, die immer und immer wieder von Anbeginn der Zeiten in der IT-Branche und insbesondere unter Entwicklern toben: Linux versus Windows versus Mac OS; Netscape gegen Internet Explorer; Firefox gegen Opera; Chrome gegen alle; Sprache 1 versus Sprache 2; Framework A gegen Framework B; CMS Foo versus CMS Bar – immer streitet man sich um die eine einzig richtige Lösung, und jeder glaubt sich im Besitz der Wahrheit und lacht die anderen als Idioten aus.

Und plötzlich wirken die hellen Köpfe gar nicht mehr so beeindruckend, sondern eher wie streitende Rotznasen im Sandkasten oder die Widerstandsgruppen in »Das Leben des Brian«.

Vergessen wird von den hellen Köpfen dann allzu oft die ganz, ganz banale Weisheit, dass fast immer mehrere Wege zum Ziel führen. Und dass der alte, von Unkraut überwucherte Pfad oder der große Umweg zwar Nachteile gegenüber der nagelneuen, schnurgeraden, asphaltierten Direkttrasse haben mögen, dass sie aber eben auch zum Ziel führen, also nicht falsch sind und nicht lächerlich.

Und Vorteile und Nachteile stellen sich wiederum nicht für jeden Entwickler und für alle Projekte gleich dar. Vielleicht kennt ein Entwickler den alten, zugewucherten Pfad einfach so gut, dass er ihn wie im Schlaf gehen kann. Und der große Umweg seinerseits bietet vielleicht eine wunderbare Aussicht und ist schlicht viel, viel angenehmer als die neue Trasse (auf der es zudem leider recht häufig Baustellen gibt).

Grunt ist so etwas. Wer heute in einem Kreis von Web-Entwicklern sagt, er benutze für die wenigen automatisierten Tasks, die er für seine kleinen Webprojekte brauche, nach wie vor Grunt, der setzt sich der Gefahr aus, im besten Fall ausgelacht und verspottet zu werden und im schlechtesten Fall seinen Ruf als Entwickler zu beschädigen. Auch das jüngere Gulp ist ja nicht mehr cool.

Dass der Entwickler, der noch immer Grunt oder Gulp benutzt, reihenweise erstklassige Websites baut, seine Kunden glücklich sind und es keinerlei Probleme gibt – das gerät aus dem Fokus.

Wir sollten den unseligen Hang zu Geltungssucht und Besserwisserei in uns bekämpfen. Solange wir das nämlich nicht in den Griff bekommen, sind wir keine großen Macher, sondern einfach nur ziemlich kleine Lichter. Und sehr, sehr unsympatisch.

von Andreas Dölling