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Humankapital

Tatsächlich sinnvoll aber wäre die Frage, ob nicht doch eher der etwas scheue Entwickler mit Prüfungsangst, aber mit enormem Abstraktionsvermögen und ebensolcher Kreativität der Firma guttun würde.

Humankapital ist ein schlimmes Wort. Oder seien wir genauer: die Idee und das Menschenbild dahinter sind schlimm.

Illustration: Humankapital (Buchstabe H im »ABC für Webmenschen«»)

Ich benutze den Begriff hier aber trotzdem ganz bewusst, um deutlich zu machen, dass auch das hippe »Human Resources« nichts anderes sagt. Es ist genau dieselbe Denke und ein fast identischer Begriff. Hmm, oder eigentlich: Humanressourcen ist sogar noch etwas übler, wenn man’s genau bedenkt. Ressourcen baut man nämlich ab, man verbraucht sie. Kapital bringt man dagegen erst einmal etwas mehr Wertschätzung entgegen.

Mir geht es hier aber gar nicht um Bezeichnungen, sondern um das ganz konkrete Handeln. Und da sehe ich im Umgang mit Angestellten, mit freien Mitarbeitern und mit Bewerbern ordentlich Luft nach oben.

Es geht damit los, dass Firmen von Bewerbern ganz selbstverständlich »aussagekräftige« Profile anfordern, diese Profile aber, wie’s scheint, häufig gar nicht gelesen werden (oder nicht verstanden werden – wobei in diesem Fall nach der Eignung der für die Sichtung verantwortlichen Personen zu fragen wäre). Das merkt man dann, wenn man als Bewerber nämlich tatsächlich ein aussagekräftiges und womöglich gar ein unwöhnliches Profil herausgibt.

Wenn ich mutiger wäre, würde ich mal mitten in mein Profil ein bisschen absurden Quatsch schreiben oder ein wenig Blindtext. Wäre ein schöner Lackmustest …

Die Art und Weise, in der viele Firmen ihre Suche nach Verstärkung angehen, deutet eher nicht darauf hin, dass man tatsächlich an Köpfen, an Individuen interessiert ist. Es scheint vielmehr schlicht um bequemen Nachschub zu gehen oder bösartiger ausgedrückt: um Ersatzteile fürs Firmengetriebe.

Ich mache das unter anderem daran fest, dass HR-Leute so tun, als könne man durch standardisierte Telefoninterviews und Schnelltests irgendetwas von Belang über eine Person herausfinden. Dabei filtert man in erster Linie schlicht Menschen aus, die zurückhaltend sind oder zu Understatement neigen; die vielleicht sehr ungewöhnlich sind; die möglicherweise von solchen Testprozeduren gelangweilt sind und sich nicht verstellen können oder wollen; die womöglich einen schlechten Tag erwischt haben; die vielleicht Prüfungsangst haben oder schlecht am Telefon und in Zwangssituationen sind …

Das kann man schulterzuckend abtun und die Verluste unter sinnvollem Pragmatismus verbuchen. Tatsächlich sinnvoll aber wäre, sich die Frage zu stellen, ob nicht doch eher der etwas scheue Entwickler mit Prüfungsangst, aber mit enormem Abstraktionsvermögen und ebensolcher Kreativität der Firma guttun würde – oder die Entwicklerin, die jahrelange Erfahrung und praxiserprobte Krisenfestigkeit mitbringt, aber wenig Lust auf unerwachsene Katalogfragen und Eignungstests hat.

Ich frage mich auch, wovor Web-Firmen oder ihre Personalverantwortlichen eigentlich Angst haben. Bei Festangestellten gibt es eine Probezeit, und Freelancer kann man jederzeit loswerden.

Abeitgeber und HR-Leute sollten sich wieder aufs Handwerk besinnen, und da geht auch anno 201* nichts über Menschenkenntnis und damit über eigene Erfahrung, Empathie und Urteilsvermögen.

Meine Wahrnehmung ist übrigens, dass genau die Firmen, die ohne standardisiertes und hochgezüchtetes Bewerbungsbrimborium auskommen, ihre Leute besonders lange halten, während sich bei den hippen Interview- und Testkünstlern schon mal ein komplettes Projektteam innerhalb von 12 Monaten in alle Winde zerstreut, weil’s woanders vielleicht doch besser ist und weil die Leute ja wissen, wie man gut durch den immergleichen Bewerbungsprozess kommt.

Kurzum: wenn man schon den unseligen Begriff Humankapital verwendet, dann sollte man die Parallelen zum Geldkapital sehen: man darf durchaus aufs schnelle Geld aus sein, aber man sollte das zu unterscheiden wissen vom Begriff der Investition.

von Andreas Dölling