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Wein und Whisky

Vergessen werden sollte nicht, dass eine Monokultur in Erfahrung, Denken und privatem Hintergrund logischerweise beschränkt ist in dem, was sie hervorbringen kann.

In der Web-Branche feiern wir das Fest der ewigen Jugend. Wenn man als Freelancer jenseits der 35 oder gar 40 unterwegs ist, ist man nicht selten der Älteste in der ganzen Firma (die Geschäftsführung eingeschlossen).

Schlimm? Nö. An sich nicht.

Schlimm – oder nein: dumm ist, wie ungelenk viele Firmen in unserer Branche mit Veteranen umgehen. Dass in Stellenausschreibungen regelmäßig geduzt wird und irgendwas von »jung« steht – geschenkt.

Illustration: Wein und Whisky (Buchstabe W im »ABC für Webmenschen«»)

Dass in denselben Ausschreibungen aber stets ein Bild vom Web-Profi als jemandem ohne jegliches Privatleben zum Ausdruck kommt, ist schon nicht mehr so egal. Menschen, die ein Leben jenseits der Firma haben, Beziehung, Kinder, vielleicht pflegebedürftige Eltern, Ehrenämter, aber auch Hobbys, private Leidenschaften oder schlicht den Wunsch nach Ruhe – solche Menschen scheinen für den Web-Betrieb immer weniger in Frage zu kommen. Man möchte eben so gerne sein wie Google, wo doch wegen der coolen »perks« alle so begeistert und ganz freiwillig den ganzen lieben Tag in der Firma verbringen.

Es ist natürlich Sache der Unternehmen, wie sie sich selbst darstellen und nach welchen Kriterien sie ihr Personal wählen. Vergessen werden sollte aber nicht, dass auch die jung Angeworbenen nicht jung bleiben. Und dass es Dinge gibt, die kein Youtube-Tutorial der Welt vermitteln kann.

Vergessen werden sollte auch nicht, dass eine Monokultur in Erfahrung, Denken und privatem Hintergrund logischerweise beschränkt ist in dem, was sie hervorbringen kann.

Richtiggehend ärgerlich wird es, wenn man mit 20 Jahren Berufserfahrung noch immer zu denselben »Eignungstests« geladen wird wie der blutige Neuling, der noch nie Praxisluft geschnuppert hat. Was, frage ich mich dann immer, glauben die denn, was ich die letzten Jahre so gemacht, wovon ich gelebt habe und warum mich Firmen über Jahre hinweg immer wieder angeheuert haben?

Wie schon gesagt: wir Veteranen stehen darüber. Es sind die betreffenden Firmen, die sich vieles entgehen lassen. Das könnte man sich in einer ruhigen Minute einmal durch den Kopf gehen lassen, am besten bei einem Glas Wein oder Whisky.

von Andreas Dölling